Maltahöhe

Heute morgen machen wir uns auf zu einer der beliebtesten Ausflugsziele hier in Namibia: Sossusvlei. Das ist im Grunde genommen eine Wüste, in dieser Disziplin aber eine durchaus photogene.

Also packen wir erstmal nach dem Frühstück unser Zelt ein und organisieren uns zur Abfahrt. Gegen neun sind wir auf der Straße, denn das Ganze hat dann vom Aufstehen aus gerechnet doch um die zwei Stunden gedauert. Wie oft ich irgendwelche Dinge beim Zelten suche ist erstaunlich. Feuerzeug, Brille, Geld, Karte, Buch, Tastatur…alles scheint irgendwie immer woanders zu sein. Aber wie dem auch sei. Die Route geht vom Namik-Naukluft Park hin über Sesriem, welches der letzte Ort vor Sossusvlei ist.
 
Die Straße nach Sesriem ist äußerst mieß und ist mit dem Namen Huckelpiste noch äußerst freundlich umschrieben. Als wir dann am Eingang zu Sesriem ankommen, wirft uns der Parkwächter dann trocken entgegen: “flat tyre”. Einen platten Reifen schon am Anfang des Ausflugs, aber zum Glück ging uns der Mann tatkräftig zur Hand keim Reifenwechsel in der prallen Sonne und wir konnten bald weiterfahren. Ein Stück vom Reifen war von einem Stein aufgerissen und hatte auch den Mantel penetriert. Wir hören praktisch, wie die Luft aus dem Reifen entfleucht. Um ehrlich zu sein, sehen all unsere Reifen auch schon etwas mitgenommen aus und keiner ist in neuem der neuwertigem Zustand. Aber das Unglück ist schnell vergessen.
Ich nehme mir heraus, dieses “Sossusvlei” etwas genauer zu beschreiben. Sossusvlei selber ist ein Tal, was am Ende einer sandigen Piste umgeben von hohen Dünen vorzufinden ist. Ist ist einer indigenen Sprache entsprungen und bedeutet soviel wie “Wo das Wasser sich sammelt”. Das ist hier aber nun schon seit 2011, also nun 8 Jahre lang nicht mehr passiert.
Der Himmel ist blankgeputzt und stahlblau. Die Dünen sind ringsherum aufgetürmt und ragen wie gemalt gen Himmel. Sie tragen Namen wie “Big Mama” oder “Deadvlei” und trotzen augenscheinlich regungslos dem Klima, auch wenn sie aufgrund des Windes natürlich immer in Bewegung sind. Die Luft ist staubtrocken und der Staub bleibt an Mensch, Tier und Kleidung hängen. Bäume stehen ganz vereinzelt in der Landschaft herum, aber viele haben den Kampf bereits aufgegeben und sind zu Totholzskeletten verkommen. Der Kampf gegen den Wassermangel. Die wenigen überlebenden Bäume haben Wurzeln, welche tief bis in Erdreich hinein reichen. Krähen spähen auf den Bäumen in der Landschaft umher, auf der Suche nach der nächsten Mahlzeit. Die Sonne scheint erbarmungslos vom Himmel. Da aber meist eine leichte Brise weht und die Luft so dermaßen trocken ist, schwitze ich nur in Maßen, was bei mir schon was heißen soll.
Wir erklimmen eine der Dünen, welche einfach “Düne 45” heißt. Da sind dann wohl die klangvollen Namen ausgegangen. Mit jedem Schritt nach vorne rutsche ich gefühlt zwei Schritte wieder auf dem Sand hinunter. Der Aufstieg ist nur auf dem Kamm der Düne möglich, der die Seiten zu rutschig sind. Ich binde mir ein Tuch ums Gesicht, was zwar leicht ulkig aussieht, aber vor den sengenden Sonne schützt. Obwohl es eine so beliebte Attraktion ist, findet sich hier doch wenig menschliche Ziviliation. Die grüßte Errungenschaft, die der Wüste abgerungen werden konnte, ist eine geteerte Straße, welche wohl die beste in ganz Namibia ist. Ansonsten sind bis auf zwei oder drei Blechhütten keinerlei Behausungen vorhanden. Die letzten paar Kilometer können nur im Geländewagen zurückgelegt werden, weil tiefer Sand das Vorankommen erschwert. Der ganze Weg von hier bis zum Meer, etwa fünfzig Kilometer ist nichts als Sand. Danach kommt dann das kalte Meer, welches vom antarktischen Strom gespeist wird. Alles äußerst surreal. Wie im Film. Oder auf dem Mars. Lebensfeindlich und vielleicht gerade deswegen so anziehend. Auch schlecht in Bilder zu fassen, weshalb ich es hier mit Worten zu erklären versuche.
Den Versuch einer Erklärung wagen wir auch auf dem Weg nach Maltahöhe, ein kleines Nest welches unsere heutige Herberge sein wird. Es ist der Versuch der Erklärung, ob wir richtig gehandelt haben.
Die Situation ist folgende:
Wir fahren von Sossusvlei nach Maltahöhe und sind schon etwa eine Stunde unterwegs. Es ist circa halb sechs. Gegen sieben geht hier die Sonne unter. In einer leichten Kurve sehe ich erst ein paar Metallteile und dann ein ausgebranntes Fahrzeug. Es steht nicht mehr in Flammen und der Unfall, welcher Art auch immer und unter welchen ungeklärten Umstanden, scheint schon etwas her. Ein junger Mann, nur mit einem Rucksack, sitzt am Straßenrand unter einem kleinen Baum. Ich halte an um zu erfahren, was hier los sei und ob er Hilfe brauche. Er sagte er heiße Bernhard, arbeitet in der “elegant desert lodge” nördlich von Sesriem. Er ist per Anhalter bei ein paar Leuten mitgefahren. Dann hat sich der Unfall ereignet und sie hätten ihn dann zurückgelassen. Er ist unverletzt und verlangt zuerst nach Wasser. Wir haben ausreichend dabei und überlassen ihm einige Liter aus unserem Kanister. Dann sagt er, dass er nach Maltahöhe wolle und ob wir ihm helfen können. Wir überlegen, man hat uns ausdrücklich davor gewarnt, Anhalter mitzunehmen und es ist hier auch verboten. Es ist eine Abwegung zwischen Einzelschicksal und der Gefahr, dass uns der Mann anschwindelt und seine Freunde hinter dem nächsten Busch auf den Fischzug warten. Wir überlegen. Wir entscheiden uns gegen das Risiko und versprechen dem Mann, das Camp anzurufen und seinen Standort durchzugeben, sobald möglich. Es sei dabei erwähnt, dass in weiten Teilen des Landes keinerlei Handyempfang möglich ist.
Ist es nun die richtige Entscheidung? Sind wir Monster, die den Glauben in das Gute im Menschen verloren haben und nur unser eigenes Wohl priorisieren?

 

Sind wir einfach genug auf Draht, um dem jungen Mann nicht seine Lügengeschichte zu glauben? Der Wagen ist vielleicht schon Monate vorher ausgebrannt. 
Um ehrlich zu sein ich weiß es nicht. Wir rufen später von Maltahöhe aus, welches der erste Ort ist, der wieder rudimentären Handyempfang bietet, die Lodge an. Sie existiert und wir sprechen mit einem Mann, der ans Telefon geht. Erstmal ist er natürlich etwas überrumpelt, da die Leute normalerweise anrufen, um ein Zimmer zu buchen. Er weiß nichts von Bernhard, wird aber seinen Kollegen fragen und informieren. In diesem Moment haben wir auch nicht viel mehr Möglichkeiten. Wir müssen uns mit der Ungewissheit herumtreiben, dass wir vielleicht einen hilfesuchenden jungen Mann eine Mitfahrt verwehrt haben. 
Dessen ungeachtet kommen wir am Abend etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang in Maltahöhe im gleichnamigen Hotel an. Zunächst muss ich sagen, dass es reichlich töricht von uns war, mit solch einer knappen Zeit die Strecke zu fahren und das Fahren in der Nacht auf einer Schotterpiste mitten in der Steppe will ich Niemanden anraten. Das Hotel selber könnte auch im Schwarzwald stehen. Es gibt Springbock mit Rotkohl und Spätzle. Eine Melange aus zwei Welten. Überall hängen alte Bilder von der Eröffnung des Hotels Anfang des letzten Jahrhunderts. Die Einrichtung ist voller Holz, viele Aufkleber aus allen Teilen Deutschlands kleben an dem Fenster, beispielsweise aus Castrop-Rauxel oder Dresden. Der Besitzer spricht selbstredend fließend Deutsch, so wie es hier bei einem Großteil der weißen Bevölkerung der Fall ist. Im Grunde sprechen hier alle wenigstens zwei Sprachen, Englisch und Afrikaans. Dazu kommen dann noch oft Deutsch oder eine weitere Sprache, die vom Familienstaumbaum her rührt oder aus der Vergangenheit stammt. Morgen geht es weiter nach Lüderitz, wo uns auch wieder ein gutes Stück deutsches Heimatgefühl erwarten soll. Das Land hat eine einmalige Mischung in dieser Hinsicht.